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Anwendung des Wiener Kaufrechts von Amts wegen

In einem früheren Blog haben unsere niederländischen Rechtsanwälte bereits über die Anwendung des Wiener Kaufrechtsübereinkommens und die damit verbundenen (potenziellen) Schwierigkeiten informiert. In einem aktuellen Urteil hat der Oberste Gerichtshof in den Niederlanden über die Anwendung des Wiener Kaufrechts von Amts wegen entschieden. Diesmal befasste sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob das Wiener Kaufrechtsübereinkommen vom Gericht von Amts wegen angewendet werden kann und ob sich Partei „Aswebo“ auf einen Irrtum berufen kann. Unser Anwalt für Vertragsrecht in den Niederlanden bespricht diese Angelegenheit.

Anwendung des Wiener Kaufrechts von Amts wegen in den Niederlanden

Bevor wir uns inhaltlich mit dem Rechtsstreit und dem Urteil in den Niederlanden befassen, möchten unsere Anwälte in den Niederlanden kurz erläutern, was unter dem Begriff “Überprüfung von Amts wegen” zu verstehen ist. Der Begriff bezieht sich auf den prozessualen Teil  eines Gerichtsverfahrens und damit in erster Linie nicht auf die Sache selbst. Gemeint ist, dass ein Richter über eine Frage entscheidet, die ihm von den Prozessparteien nicht vorgelegt wurde. Der Richter bewertet nach Eingang der Unterlagen den Streitstoff in rechtlicher Hinsicht und setzt sich von selbst mit der Frage auseinander, ob das Wiener Kaufrecht im vorliegenden Rechtstreit Anwendung findet. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn diese Frage nicht von Seiten der Parteien aufgeworfen wurde. In der Berufungsinstanz findet zwar erneut eine Prüfung des Rechtsstreits in der Sache statt, aber nur in den Punkten, welche die Parteien beanstanden. Anders formuliert: Die Parteien müssen in der Berufung darlegen bzw. rügen, warum sie in einem Punkt hätten Recht bekommen sollen. Wenn gegen einen bestimmten Teil des Verfahrens keine Rüge in der Berufung erhoben wird, kann das Berufungsgericht in bestimmten Fällen dennoch verpflichtet sein, diesen Teil von Amts wegen in den Rechtsstreit einzubeziehen. Die Überprüfung von Amts wegen ist insbesondere in Verbrauchersachen und im Verwaltungsrecht üblich.

Niederländisches Verfahren zur Anwendung Wiener Kaufrecht

Die Parteien Aswebo und Jura schlossen einen Vertrag über die Lieferung von Leitungsschächten. Das Angebot enthielt eine Abnahmeverpflichtung für Aswebo unter Bezugnahme auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Jura. Zu einem bestimmten Zeitpunkt war Jura jedoch nicht in der Lage, den gesamten Vertrag (fristgerecht) zu erfüllen, woraufhin Aswebo beschloss, nicht alle Leitungsschächte abzunehmen. Jura beruft sich daraufhin auf die im Angebot enthaltene Abnahmeverpflichtung und fordert von Aswebo Schadensersatz wegen nicht erfolgter Abnahme. Aswebo wiederum versuchte den Vertrag wegen Irrtums (teilweise) anzufechten, zu ändern oder aufzuheben. Dazu macht Aswebo geltend, dass sie aufgrund einer Mitteilung von Jura davon ausgegangen sei, dass die Leitungsschächte in dem vereinbarten Zeitraum zur Verfügung stehen würden. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.

Die Entscheidung des niederländischen Gerichts

Das Landgericht in den Niederlanden wies alle Klagen ab, woraufhin Berufung beim Berufungsgericht ’s-Hertogenbosch eingelegt wurde. In seinem ersten Zwischenurteil entschied das Berufungsgericht in den Niederlanden, dass das Wiener Kaufrecht bei der Beurteilung der Ansprüche der Parteien zu berücksichtigen sei. Das Berufungsgericht wendete somit das Wiener Kaufrechtsübereinkommen von Amts wegen an. Außerdem entschied das Berufungsgericht in den Niederlanden, dass sich Aswebo nicht auf einen Irrtum berufen könne. Denn der Irrtum beziehe sich auf die Lieferung der Produkte und nicht auf die Eigenschaften der Produkte selbst und sei damit unzulässig. Im zweiten Zwischenurteil wurde festgestellt, dass Aswebo seiner Abnahmeverpflichtung aus dem Vertrag schuldhaft nicht nachgekommen sei und Jura daher Anspruch auf Schadensersatz habe. Im Endurteil stellt das Gericht in Holland fest, dass Jura den geltend gemachten Schadensersatz jedoch nicht hinreichend substantiiert habe und verweist daher auf das Schadensersatzverfahren in den Niederlanden.

Das Urteil des niederländischen Obersten Gerichtshofs

Im Rahmen der Revision von Aswebo beantwortete der Oberste Gerichtshof  in den Niederlanden („Hoge Raad“) zwei Fragen: 1. Darf das Gericht das Wiener Kaufrecht von Amts wegen anwenden? 2. Kann sich Aswebo auf einen Irrtum berufen? Die Frage, ob das Gericht das Wiener Kaufrecht von Amts wegen anwenden darf, wird vom Obersten Gerichtshof verneint. In erster Instanz hat das Gericht durch Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien festgestellt, dass auf den Vertrag niederländisches Recht anzuwenden sei. Dies deutete in keiner Weise auf eine Anwendung des Wiener Kaufrechtsübereinkommens durch das Gericht hin. Die Entscheidung des Gerichts hätte daher so verstanden werden müssen, dass auf den Vertrag niederländisches Recht unter Ausschluss des Wiener Kaufrechtsübereinkommens anwendbar sei. Da von keiner der Parteien Beschwerden über die Beurteilung des anwendbaren Rechts vorgebracht wurden, sei es nicht Sache des Gerichts, darüber von Amts wegen zu entscheiden. Darüber hinaus entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Berufung auf einen Irrtum Erfolg hat. § 6:228 des Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs könne auch auf die Zusicherung einer der Parteien in Bezug auf andere Rechte und Pflichten aus dem Vertrag gestützt werden, wie in diesem Fall auf die Fähigkeit, innerhalb der vereinbarten Frist zu liefern.

Niederländischer Rechtsanwalt Wiener Kaufrecht

Wenn Sie sich im Bezug auf die Anwendung des Wiener Kaufrechts von Amts wegen beraten lassen wollen, stehen Ihnen unsere Rechtsanwälte für Vertragsrecht in den Niederlanden gerne zur Verfügung. Unsere deutschsprachigen Anwälte in den Niederlanden entwerfen bei Bedarf Einkaufs- und Verkaufsbedingungen. Unsere Anwaltskanzlei in den Niederlanden steht Ihnen auch zur Seite, wenn es bereits zu einem Streitfall gekommen ist, bei dem die Anwendung des Wiener Kaufrechts von Amts wegen eine Rolle spielt. Unsere niederländischen Anwälte führen viele internationale Rechtsstreitigkeiten und kennen die Vor- und Nachteile sowie sämtliche Risiken. Sie können sich gerne jederzeit an unseren erfahrenen Anwalt in den Niederlanden für das Wiener Kaufrecht, Martin Krüger, wenden. Oder kontaktieren Sie einen unserer anderen Fachanwälte in Amsterdam.

Kanzlei: +31 (0)20 – 210 31 38
Direct: +31(0)681474665
martin.kruger@maakadvocaten.nl

Remko Roosjen

Remko Roosjen

Remko leitet das Team Handelsrecht in Amsterdam bei MAAK als Anwalt für Vertragsrecht in den Niederlanden und ist Mitglied des German Desk der MAAK. Aufgewachsen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet, kennt Remko die kulturellen und rechtlichen Unterschiede zwischen beiden Ländern und setzt dieses Wissen ein, um seine Mandanten in grenzüberschreitenden Fällen auf Deutsch optimal zu beraten und in juristischen Prozessen in den Niederlanden zu vertreten. Website Profil anschauen oder LinkedIn Profil anschauen.