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Selektive Vertriebssysteme und die Kündigung einer Vertriebs­vereinbarung

Aktuelle Rechtsprechung.

Am 14. Juli 2020 hat das Berufungsgericht Amsterdam eine wichtige Entscheidung im Europäischen Wettbewerbsrechts und im Hinblick auf die Vertriebsvereinbarung der NIKE European Operations Netherlands (NEON), die europäische Vertriebsfirma von NIKE, getroffen.[1]

Berufungsgericht Amsterdam: Verbot des Verkaufs von NIKE Producten auf Amazon ist gerechtfertigt

Das Amsterdamer Berufungsgericht urteilte, dass die vorangegangene Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit Action Sports, ein Vertriebler der NEON, rechtmäßig ist. Hintergrund der Streitigkeit war, dass Action Sports NIKE Produkte über Amazon verkauft hatte, obwohl NEON den Verkauf über diese Online-Plattform gemäß ihrer geführten Vertriebspolitik (Nike’s Selective Retailer Distribution Policy) verboten hatte.

Bezirksgericht Amsterdam: selektives Vertriebssystem von NIKE mit europäischen Wettbewerbsregeln vereinbar

Aufgrund der Kündigung und des ausgesprochenen Verbots des Online-Handels von NIKE Produkten auf Amazon, hat Action Sports Klage gegen NEON eingereicht. Die Streitigkeit wurde zunächst in erster Instanz vor dem Bezirksgericht Amsterdam geführt. Action Sports hatte die Meinung vertreten, dass die selektive Vertriebspolitik von NEON gegen das Europäische Wettbewerbsrecht verstoßen und daher kein rechtmäßiger Grund für eine Kündigung vorliegen würde.

Selektives Vertriebssystem nach holländischem Recht

Das Gericht lehnte diese Auffassung jedoch ab, indem es die sogenannten Metro-Kriterien, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem berühmten Metro-Urteil[2] im Hinblick auf Art. 101 AEUV entwickelte, bejahte. Die Metro-Kriterien regeln, dass selektive Vertriebssysteme mit Art. 101 AEUV vereinbar sind, wenn

  • die Beschaffenheit des fraglichen Erzeugnisses ein selektives Vertriebsnetz erfordern,
  • die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Kriterien qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle potentiellen Wiederverkäufer festgelegt und unterschiedslos angewendet werden und
  • die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

Ist die Kündigung des Vertriebsvertrages wettbewerbsrechtlich gerechtfertigt?

Das Landesgericht Amsterdam hat angenommen, dass es sich bei der Vertriebspolitik von NIKE um ein selektives Vertriebssystem handeln würde, da es den Vertrieb auf eine bestimmte Anzahl von Online-Plattformen beschränken würde. Es argumentierte, dass die Vertriebspolitik von NIKE dazu diene, das Markenimage von NIKE zu erhalten; zumal es sich bei NIKE Produkten um Luxusprodukte handeln würde, die den Einsatz eines selektiven Vertriebssystems erfordern würde. Zudem urteile das Gericht, dass die in der Vertriebspolitik enthaltenen Beschränkungen zur Nutzung von Online-Plattformen (wie Amazon) durch das Ziel gerechtfertigt seien, das Luxusimage von NIKE zu erhalten. Folglich kam das Gericht zu dem Entschluss, dass die Vertriebspolitik mit Art. 101 AEUV vereinbar und NEON daher berechtigt gewesen sei, diese gegenüber Action Sports durchzusetzen und den Vertriebsvertrag zu kündigen.

Gegen dieses Urteil legte Action Sports Berufung ein. Action Sports hat angeführt, dass die Verkaufsbeschränkungen, die für nicht genehmigte Plattformen in der Vertriebspolitik aufgenommen sind, ein illegales Verbot von Onlinehandel darstellen würden.

Berufungsgericht Amsterdam bestätigt das Urteil der ersten Instanz: NEON darf den Handel von NIKE Produkten auf Amazon verbieten

Auch das Berufungsgericht lehnte die Auffassung von Action Sports ab, indem es die Erwägungen des EuGHs in seiner Coty-Entscheidung[3] angewendet hat. In Coty führte der EuGH aus, dass Marktplatzverbote (also die Nutzung von Online-Plattformen durch Händler) in Vertriebsvereinbarungen keine Kernbeschränkungen iSd. Art. 4 b) und c) der EU-Verordnung Nr. 330/2010[4] darstellen und daher nicht gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen würden.

Obwohl auf europarechtlicher Ebene immer noch streitig ist, ob sich die Coty-Entscheidung des EuGHs nur auf Luxusgüter oder auf alle Produkte bezieht, geht das Berufungsgericht in Amsterdam davon aus, dass es nicht relevant sei, ob es sich bei NIKE Produkten um Luxusgüter handele oder nicht. Das Berufungsgericht entschied demnach, dass die Erwägungen des EuGHs auf alle Vertriebsvereinbarungen anwendbar seien und nicht lediglich auf solche, die Luxusgüter zum Gegenstand haben.

Entgegen der Ansicht des Bezirksgerichts, entschied das Berufungsgericht also, dass es auf die Qualifikation der NIKE-Produkte als Luxusgüter gar nicht ankommen würde, da sich eine solche restriktive Auslegung nicht aus der EU-Verordnung Nr. 330/2010 ergeben würde. Dies begründete das Berufungsgericht damit, dass der EuGH in seiner Coty-Entscheidung die Qualifikation als Luxusgut nicht voraussetzen würde, um den Anwendungsbereich von Art. 4 b) und c) der EU -Verordnung zu eröffnen. Aus diesem Grund schlussfolgerte das Berufungsgericht, dass die Erwägungen des EuGHs auch auf den hiesigen Fall anwendbar seien. Das Berufungsgericht führte aus, dass die Vertriebspolitik von NEON kein generelles Verbot von Onlinehandel enthalten, sondern lediglich den Handel auf nicht-autorisierten Plattformen wie Amazon verbieten würde. Insbesondere hat NEON den Vertrieb auf bestimmte Online-Plattformen, wie Zalando oder Otto begrenzt, mit denen auch vertragliche Vereinbarungen bestehen. Amazon gehörte gerade nicht zu den genehmigten Plattformen, sodass Action Sports auch nicht dazu befugt war, Nike Produkte auf Amazon zu verkaufen.

Gegenteilige Auffassung des Deutschen Bundeskartellamts

Interessant ist, dass das Deutsche Bundeskartellamt zuvor entschieden hatte, dass eine ähnliche Beschränkung, die Adidas und ASICS seinen Vertriebshändlern auferlegt hatten (Verbot des Verkaufs ihrer Produkte über (Online-)Marktplätze), gegen die europäischen Wettbewerbsregeln verstoßen würde. Die Europäische Kommission ist jedoch der Auffassung, dass die Nutzung von Plattformen eingeschränkt werden kann, wenn eine solche Nutzung nicht dem vom Anbieter geforderten (Qualitäts-)Standard entspricht.

Sowohl der EuGH als auch das Berufungsgericht Amsterdam sind der Auffassung, dass die Beschränkung der Nutzung von Online-Plattformen nicht notwendigerweise im Widerspruch zu den europäischen Wettbewerbsregeln steht. Dies hängt jedoch immer von den spezifischen Umständen des Einzelfalles ab. Es ist also möglich, dass diese Meinung in Zukunft auch in Deutschland vertreten wird, da es um europäische Vertriebssysteme geht, die sicherlich auch den deutschen Markt betreffen können.

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[1] Berufungsgericht Amsterdam, 14. Juli 2020, ECLI:NL:GHAMS:2020:2004.

[2] EuGH, Urteil vom 11. Oktober 1986, ECLI:EU:C:1986:399.

[3] EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2017, ECLI:EU:C:2017:941.

[4] Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen.

Remko Roosjen

Remko Roosjen

Remko leitet das Team Handelsrecht in Amsterdam bei MAAK als Anwalt für Vertragsrecht in den Niederlanden und ist Mitglied des German Desk der MAAK. Aufgewachsen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet, kennt Remko die kulturellen und rechtlichen Unterschiede zwischen beiden Ländern und setzt dieses Wissen ein, um seine Mandanten in grenzüberschreitenden Fällen auf Deutsch optimal zu beraten und in juristischen Prozessen in den Niederlanden zu vertreten. Website Profil anschauen oder LinkedIn Profil anschauen.